Wie weit darf man zum “Wohle der Allgemeinheit” gehen? Darf man einen einzelnen Menschen töten, um andere zu retten, für die er eine potenzielle Gefahr darstellt? Und wer darf entscheiden, wer sterben muss?
Das sind die Fragen, die das Buch “Der Präsident” aufwirft.
Aus dem Klappentext:
Stell dir vor, der mächtigste Mann der Welt wäre ein gefährlicher Egomane …
Als die Bürger der USA einen unberechenbaren Demagogen zum Präsidenten wählen, hält die Welt den Atem an. Kaum jemand weiß: Bereits kurz nach Amtsantritt ordnet der Präsident fast einen Nuklearstreich an, nachdem ein Wortgefecht mit dem Machthaber von Nordkorea aus dem Ruder läuft. Eins ist den Mitwissern klar: Jemand muss etwas unternehmen, oder die Welt steht kurz vor einem dritten Weltkrieg. Ein Attentat scheint der einzige Ausweg …
Meine erste Reaktion beim Lesen dieses Buches war: Wann wurde das geschrieben? Erschienen sind sowohl das englischsprachige Original “To Kill the President” als auch die deutsche Ausgabe im Juli 2017. Das heißt, das Buch entstand spätestens Anfang des Jahres. Und das ist unglaublich erschreckend, denn das im Eingang beschriebene Szenario könnte sich genauso gut letzte Woche ereignet haben.
Überhaupt punktet der Thriller mit sehr viel Authentizität. Das deutsche Cover deutet auch nicht gerade subtil an, um wen es sich wohl handeln könnte, obwohl der Name des Präsidenten im ganzen Buch nicht ein einziges Mal fällt. Aber das muss er auch nicht, denn jeder einzelne Hauptcharakter kann problemlos einem tatsächlichen Politiker zugeordnet werden, auch wenn der eine oder andere davon zwischenzeitlich das Weiße Haus verlassen hat. Bis auf die vermutlich fiktive Protagonistin Maggie Costello, die im Büro des Rechtsberaters des Präsidenten arbeitet, und aus deren Perspektive wir den Großteil des Buches erleben. Maggie steht vor der eingangs gestellten Frage und trifft eine Entscheidung. Und diese Entscheidung löst eine Kaskade von Ereignissen aus, mit denen sie so keinesfalls gerechnet hätte.
Dinge, die mir gefallen haben:
- Sam Bourne aka Jonathan Freedland weiß, wovon er schreibt. Die klugen Analysen, die er seinen Figuren in den Mund legt, ermöglichen tiefe Einblicke in die Psyche der Wähler und Machthaber in Washington. Und ich bin davon überzeugt, dass er mit seinen Einschätzungen goldrichtig liegt.
- Das Buch ist aus verschiedenen Perspektiven erzählt. Einmal erleben wir die Geschehnisse aus der Sicht von Bob Kassian, dem Stabschef, einmal aus der Sicht von Verteidigungsminister Jim Bruton, bisweilen aus der Sicht des Attentäters und überwiegend aus der Sicht von Maggie. Der Leser kann sich ein umfassendes Bild von den Gefühlslage der entsprechenden Personen machen und somit besser die Beweggründe für ihre jeweiligen Handlungen verstehen. Das ist wichtig, denn hier gibt es kein Schwarz und Weiß, nur sehr viel Grau in allen möglichen Schattierungen.
- Dem Leser wird etwas zugetraut. Man ahnt schon recht früh, wer auf welcher Seite steht, und ich weiß es immer sehr zu schätzen, wenn der Autor das den Protagonisten auch ähnlich schnell merken lässt.
- Die Tempowechsel. Der Thriller ist zwischenzeitlich so rasant erzählt, dass ich das Buch erst mal weglegen und etwas anderes, Leichtes, lesen musste, weil es mir zu intensiv wurde. Die intensiven Passagen wechseln sich jedoch mit ruhigen ab, sodass man zwischendurch ein wenig Luft holen kann.
- Das Ende. Schon ungefähr zur Hälfte des Buches habe ich mich gefragt, welchen Ausgang diese Geschichte wohl realistisch nehmen könnte. Bourne hat eine sehr gute Möglichkeit gefunden, seine Geschichte abzuschließen, ohne den Leser zu enttäuschen, und das in vielerlei Hinsicht.
Dinge, die mir nicht so gut gefallen haben:
- Ich fand Maggie bisweilen ein wenig naiv, erst recht für jemanden in ihrer Position. Und bei manchen Sätzen war ich mir nicht sicher, ob da vielleicht die Sicht eines Mannes durchschimmert oder sie dem Charakter der Hauptperson geschuldet sind. Beispiel: “Er krempelte die Ärmel des weißen Baumwollhemds hoch. Der Anblick seiner Unterarme sandte einen vertrauten erotischen Reize durch Maggies Nervensystem, der ihr Gehirn erreichte, ehe sie ihn unterdrücken konnte.” Na, das müssen ja ein paar dolle Unterarme sein …
Fazit:
Ein unglaublich packender Thriller, der zwar nicht den Anspruch erhebt, dokumentarisch aus Washington zu berichten, aber solche Authentizität ausstrahlt, dass man keine Sekunde daran zweifelt, dass es sich jederzeit genauso zutragen könnte. Und der dem Leser aufzeigt, dass es nicht immer nur die offensichtlichen Dinge zu fürchten gilt, sondern die Schaltzentralen der Macht womöglich völlig woanders liegen. Gleichzeitig erlaubt er über die Protagonisten einen Einblick in das Wesen von Personen, die stellvertretend für ganze Personengruppen stehen — Politiker, Soldaten, Wähler.
Für mich ein Buch, bei dem ich jeden Abend Gesprächsbedarf hatte.
Habt ihr das Buch ebenfalls gelesen? Wie hat es euch gefallen? Gerne dürft ihr auch eure Rezensionen hier verlinken.
Unser Rezept zum Buch findet ihr hier: Macaroni-and-Cheese-Suppe.
Zum Abschluss noch ein paar bibliographische Daten, im Einklang mit den veränderten Bestimmungen zur Kennzeichnungspflicht.
WERBUNG
Folgende Links kennzeichne ich gemäß § 2 Nr. 5 TMG als Werbung:
Autor: Sam Bourne
Übersetzer: Ruggero Leò
Originaltitel: „To Kill the President: The most explosive thriller of the year”
Verlag: Bastei Lübbe
Erscheinungsjahr: 2017
Mir wurde auf meinen Wunsch hin vom Verlag ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt.
Über den Autor:
Sam Bourne ist das Pseudonym des preisgekrönten britischen Journalisten Jonathan Freedland. Nach Stationen u.a. bei der BBC, der Washington Post, der New York Times, Newsweek und der Los Angeles Times, arbeitet er heute überwiegend als Redakteur und Kolumnist beim Guardian. Er schreibt regelmäßige Beiträge für die New York Times Review of Books und den Jewish Chronicle. Zudem präsentiert er die wöchentliche Radiosendung The Long View bei BBC Radio 4. Freedland ist Autor diverser Sachbücher und Thriller. Mit seinem Thrillerdebüt Die Gerechten war er monatelang Nummer 1 der Sunday-Times-Bestsellerliste mit über einer halben Million verkaufter Exemplare.
(Quelle: Bastei Lübbe)
3 Comments
Unser Rezept zum Buch: Macaroni-and-Cheese-Suppe - Read & Eat
Oktober 30, 2017 at 11:02 am[…] Ein typisch amerikanisches Gericht, abgewandelt als Suppe. Die perfekte Begleitung zum unserem Buchtipp des Monats „Der Präsident“. […]
Mo
Oktober 31, 2017 at 3:10 pmIch liebe es Rezensionen zu Büchern zu lesen, die ich selbst gelesen habe. Ja, mir ging es genauso wie dir, dass ich hin und wieder Gesprächsbedarf hatte, nachdem ich das ein oder andere aus dem Buch gelesen hatte.
Meine Rezension zu dem Buch finden alle Interessierte hier:
https://mounddiemachtderbuchstaben.blogspot.de/2017/10/der-prasident-thriller-von-sam-bourne.html
(Vielen Dank, dass ich das Verlinken darf)
Liebe Grüße, Mo
Jeannette
November 1, 2017 at 10:16 amLiebe Mo,
ich habe mich in deiner Rezension auch wiedererkannt. 🙂 Und ich finde es schön, wenn sich die Leser anhand der unterschiedlichen Rezensionen ihre eigene Meinung bilden können.
Viele Grüße,
Jeannette